Manchmal fühle ich mich wie die rostige Kanne auf dem Foto. Wenn ich mich dann umschaue, gibt es eigentlich nur schönere, größere und wertvollere Kannen als mich. Der Klassiker: wenig Selbstwertgefühl.

Gott sei Dank habe ich dieses Gefühl heute nur noch vereinzelt – an grauen Tagen. Und ich bin mir mittlerweile bewusst, dass diese Gedanken wieder vergehen.

Sie vergehen wie alles. Ja, alles ist vergänglich! Gefühle, Gedanken und Gegenstände sind nicht für die Ewigkeit gemacht. Und: Ich identifiziere mich nicht mehr mit ihnen. Dazu möchte ich euch in einem anderen Post mehr erzählen.

Zurück zum Selbstwert: Laut Wikipedia-Definition „versteht die Psychologie die Bewertung, die man an sich selbst vorgenommen hat“. Und nun die gute Nachricht: Das ist nicht in Stein gemeißelt.

Woher kommt der eigene Wert?

Der Ursprung liegt wie so oft in der Kindheit. Eltern bewerten ihre Kinder häufig über die Leistung. „Das hast du gut gemacht.“ Das stärkt das Selbstvertrauen – das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Der Selbstwert dagegen ist die eigene Bewertung des Seins. Wie finde ich meine Persönlichkeit oder meine Eigenschaften. Zweifeln wir an unserem Sein, versuchen wir mit Taten in der Welt zu punkten.

Mein Antrieb war sehr oft, es anderen Recht  zu machen, um dafür Lob und Anerkennung zu erhalten. Futter für mein Selbstwertgefühl.

Habe ich dann nicht wie gewünscht Anerkennung erhalten, ging ich in die Rebellion. Wenn schon keine positive Aufmerksamkeit, dann eben negative.

In der Grundschule stand bei mir im Zeugnis: „sie stört den Unterricht“ und „sie hat ein schwer zu zügelndes Temperament“. Ich kämpfte verzweifelt um Aufmerksamkeit.

Ich fühlte mich viele Jahre nicht wohl in meiner Haut. Ich war weniger sexy, weniger klug, weniger reich als die anderen. Und ich habe ungesunde Beziehungen geführt.

Beziehungen, die nicht auf Augenhöhe stattgefunden haben. Beziehungen, in denen ich mich unter Wert verkauft habe – sowohl beruflich als auch privat.

Damals fühlte sich das normal und passend an. Mehr war nun mal für mich nicht drin in dieser Wundertüte namens Leben.

Je mehr ich mich mit mir beschäftigt und auseinandergesetzt habe, desto mehr habe ich verstanden: Ich bin diesem Leben nicht ausgeliefert. 

Es dauert eine Sekunde die Entscheidung zu treffen, dass man etwas ändern möchte. Der Prozess danach ging über Jahre.

Ich habe eine Psychotherapie begonnen, einen Achtsamkeitskurs und mehrere Retreats gemacht, wahnsinnig viel gelesen und gehört. Dazu gebe ich euch gerne mal eine Liste.

Die letzte große Veränderung war meine Kündigung vor einem halben Jahr.

Beschäftige dich mit dir, nicht mit den anderen

Selbstfürsorge, Achtsamkeit und eine Unterstützung von außen haben meine Sichtweise verändert. Vergleiche sind immer schädlich. Das einzig sinnvolle Idol ist unser eigenes Ideal, unabhängig von Aussehen, Kontostand und Erfolg eines anderen.

Frag dich, was du wirklich möchtest. Arbeite dich nicht für etwas ab, das (vielleicht) jemand anderes erwartet. In meinem Fall lag ich mit den Erwartungen, die ich anderen unterstellt habe, so oft falsch.

Keiner denkt wie ich. Jeder hat seine eigenen Beweggründe. Meistens hat seltsames Verhalten der anderen überhaupt nichts mit mir zu tun.

Albtraum Smalltalk

Die Folge eines mangelhaften Selbstwertgefühls ist, dass wir uns zurückziehen. Wir scheuen Kontakte, weil wir Angst haben verletzt zu werden.

Wenn ich mich selbst nicht liebenswert finde, wieso sollte mich dann jemand anders wirklich mögen? Für mich waren neue Bekanntschaften meistens schwierig.

Ich habe mir so viele Gedanken gemacht, wie mein Gegenüber mich bewertet, dass ich etwas intelligentes oder witziges sagen muss.

Ich wollte beweisen, dass ich wertvoll bin, obwohl oder gerade weil ich selbst nicht daran glaubte. Das kann nicht funktionieren.

Dieses Verhalten führt in eine verzweifelte Abhängigkeit von der Bestätigung durch andere. Abgesehen davon, dass es nicht die Aufgabe der anderen ist, hadern doch viele selbst mit ihrer Wertigkeit.

Dazu eine kleine Anekdote: Ich musste mal für ein ZDF Magazin spontan eine Ministerin interviewen. Ich war Mitte 20 und habe mir fast vor Angst in die Hose gemacht. Auf keinen Fall wollte ich mich blamieren.

Als sie mit ihrer Antwort auf die erste Frage ansetzte, kam sie ins Stottern und brach ab. Sie schnauzte uns an, dass wir hinter der Kamera sie ganz durcheinander bringen. Im zweiten Anlauf lief alles gut.

Keine Ahnung, ob sie einen schlechten Tag hatte, das Thema sie nervte oder sie einfach hungrig war. In dem Moment wurde mir klar, dass ihre Anspannung noch größer war als meine.

Jeder hat seine Schwächen. Jeder trägt sein Päckchen. Jeder kämpft mit Geistern seiner Vergangenheit, die sich oft hartnäckig einnisten.

Falsche Überzeugungen

Es gibt (falsche) Glaubenssätze, die uns unser ganzes Leben begleiten und wir merken es nicht einmal. Eine meine Überzeugungen war: „Ich glaube, dass ich die Erwartungen der anderen nicht erfüllen kann“.

Daraus habe ich folgenden Satz gemacht: „Ich erlaube mir, zufrieden mit mir zu sein.“ Der beinhaltet vor allem einen Perspektivwechsel. Mein Maßstab liegt nicht im Außen, sondern in meinem Inneren.

Heute tue ich mich etwas leichter, auf Fremde zuzugehen, auf Partys mit mir Unbekannten Smalltalk zu halten oder sogar alleine essen zugehen. Auch mit meinem Patchwork komme ich besser zurecht.

Es ist mir egaler, was andere über mich denken. Ich weiß, was ich über mich denke. Und ich habe etwas gelernt: Auch die anderen Kannen haben rostige Stellen!

Und jetzt: Vorhang auf für dein Leben!